editorial


This is precisely the time when artists go to work. There is no time for despair, no place for self-pity, no need for silence, no room for fear. We speak, we write, we do language. That is how civilizations heal.
Toni Morrison

»Heimat« wird zurzeit in Großbuchstaben an jede Wand der Republik projiziert. Jedoch nicht im Sinne von Empathie und Solidarität mit den Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen müssen. Im Gegenteil dient »Heimat« den rechten und rechtsextremen Kräften dazu, ausgerechnet die Enteigneten und Entrechteten auszuschließen. Die vierte Ausgabe des Berliner Herbstsalons trägt den Untertitel »De-heimatize it!« Entlehnt ist der Begriff dem Vortrag »De-heimatize Belonging« der Politikwissenschaftlerin Bilgin Ayata, in dem sie »Heimat« als unrettbar von der kolonialen und faschistischen Gewaltgeschichte Deutschlands diskreditierten Begriff kritisiert und dazu aufruft, andere Zugehörigkeiten zu denken.

»De-heimatize it!« meint nicht Heimatgefühle und Heimatpoesie, die Privatsache sind und jeder* vorbehalten. Es meint die reaktionäre »Heimat«-Hochkonjunktur im politischen Diskurs in Deutschland. »Heimat« in diesem Sinne ist und war immer auch »Vaterland« und als Konzept untrennbar mit dem Patriarchat verbunden. Auch international sind es die Verflechtungen der Herrschaftssysteme Patriarchat, Kapitalismus und Rassismus – aktuell repräsentiert von Trump, Bolsonaro, Putin, Xi Jinping, Erdoğan, Duterte und unzähligen weiteren Herrschern in der Welt –, die Ausschlüsse und Enteignungen produzieren und Demokratie und elementare Menschenrechte in Frage stellen.

Was hilft gegen den scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug von männlichem Autoritarismus, Nationalismus und neoliberalem Regime? Die Antwort kann nur in der Solidarität liegen. Wenn Kunst sich gegen diese Herrschaftspraktiken stellen möchte, muss sie die Ausschlusskriterien race, class, gender gleichzeitig denken und thematisieren. Kimberle Crenshaw hat dies bereits vor 30 Jahren mit ihrem Konzept der Intersektionaliät, der Kreuzungen verschiedener Formen von Unterdrückung und struktureller Gewalt analysiert. Dieses Denken beschäftigt uns als Prozess und Perspektive bei unserer kritischen künstlerischen Praxis, durchaus auch in einem selbstkritischen Sinne. Denn während wir in Deutschland in den vergangenen fünfzehn Jahren dem deutschsprachigen Kanon Geschichten hinzufügten, die schmerzlich fehlten, kam weder die doppelte Staatsbürgerschaft noch das kommunale Wahlrecht geschweige denn ein Einwanderungsgesetz, das diesen Namen verdiente. Im Gegenteil wurde das Aufenthaltsrecht beispiellos verschärft, die Morde rechter Terroristen verharmlost und nach wie vor scheint die Zugehörigkeit und das Existenzrecht Eingewanderter immer wieder aufs Neue verhandelbar zu sein. Für die Theoriebildung und den Austausch von Praktiken hierzu, haben wir deshalb erstmals im 4. Berliner Herbstsalon eine internationale Konferenz und eine temporäre internationale Akademie initiiert.

Hinter der Unterschrift für den 4. Berliner Herbstsalon steht aber ein Ausrufungszeichen! Es geht nicht darum, ein Kapitel resignativ zu schließen, sondern ein neues – vielleicht wütenderes – zu öffnen. Der Herbstsalon wird dafür Raum geben: in einer Werkschau bildender Künstler*innen, mit einem umfangreichen Theater- und Performanceprogramm, mit einer Konferenz zu Theorie und Praxis und nicht zuletzt mit der Young Curators Academy, in deren Rahmen politisch engagierte Kurator*innen aus der ganzen Welt am Gorki zusammenkommen. Wir öffnen einen Raum, an dem sich Künstler*innen, Aktivist*innen, Theoretiker*innen und Theatermacher*innen aus allen Teilen der Erde versammeln, um einen gemeinsamen neuen Impuls für eine nicht nationale und rassistische, nicht männlich dominierte und sexistische, nicht dem Markt und ökonomischer Verwertungsarithmetiken verpflichtete Sprache zu formulieren. Wir gehen an unsere Arbeit und laden Sie bei überwiegend freiem Eintritt zu Begegnung und Austausch ein. Let’s de-heimatize it!

Ihre Shermin Langhoff