Marta Górnicka

Werk

Jedem das Seine
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Theaterstück, 2019

»Gewalt lagert sich im Körper ab und lässt sich nicht auslöschen! Sie steckt weiter dort«, sagt ein zehnjähriges Mädchen im Stück. Und eine ältere Frau fügt hinzu: »Selbst das Opfer kann nicht glauben, was geschehen ist, so unglaublich ist das Geschehene, das Opfer ist sich selbst ein Ding der Unmöglichkeit.«

Nichts verdeutlicht diesen Sachverhalt besser, als die noch immer aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängte Geschichte der sexuellen Versklavung von Frauen durch das nationalsozialistische Deutschland. In Konzentrations- und Arbeitslagern war Sex mit Prostituierten im Lagerbordell die raffinierteste Form, Häftlinge zu noch größerer Produktivität anzutreiben. Diese Gewalt wurde nie öffentlich, geschweige denn wiedergutgemacht. Frauen als Kosten wurden ein für alle Mal aus dem kollektiven Gedächtnis über die nationalsozialistische Todesindustrie getilgt. Hat sich seit den Zeiten von Buchenwald etwas geändert?

Die in ganz Europa und der Welt wiedererstarkenden Nationalismen und faschistischen Auswüchse instrumentalisieren den Körper der Frau und des Kindes, missbrauchen ihn im politischen Kampf. Die totale Verfügungsgewalt über den weiblichen Körper ist das Fundament jedes nationalistischen Populismus.

Seit Anbeginn der kapitalistischen Akkumulation ist der Körper der Frau eine auf brutale Weise kolonialisierte Ressource. Sie entfremdete sich von ihrem Körper und von ihrer »Arbeit«. Die Räder des Kapitalismus und des Nationalismus greifen ineinander und rasten über dem Körper der Frau ein. In Jedem das Seine betrachte ich den Körper als einen Ort, an dem Faschismus wiederersteht und fortdauert.

Marta Górnicka

Mit Liliana Barros, Yasin Boynuince, Serena Buchner, Caroline Corves, Leonard Dick, Carmen Engel, Dana Greiner, Marta Górnicka, Maya Haddad, Thekla Hartmann, Antonia Hoffmann, Marion Hollerung, Stacyian Jackson, Gro Swantje Kohlhof, Laura Kupzog, Kim Nguyen, Moritz Ostruschnjak, Gina Penzkofer, Susanne Popp, Melanie Pöschl, Corinna Quaas, Anne Ratte-Polle, Theresa Schlichtherle, Samantha Schote-Ritzinger, Zoë von Weitershausen, Gülbin Ünlü

Foto: David Baltzer

Magnificat
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Dokumentation einer Performance, 2019

Magnificat wurde 2011 vom Chorus of Women in Warschau aufgeführt. Der Text ist eine Ansammlung von Zitaten aus der Bibel, Lebensmittelrezepten, Texten von Jelinek, Mickiewicz, Fragmente von Euripides’ Bakchen und Zeitungen. Das Werk ist ein Kommentar über die von der Kirche geformte Rolle der Frau. Es konfrontiert uns mit dem heiligsten Bild der Weiblichkeit innerhalb der Kirche – der Jungfrau Maria – und seiner ideologischen und ästhetischen Macht. Rhythmische Sprache und Popkultur vermischen sich mit traditionellen Formen von geistlicher Musik und Sampeln.

Foto: © Egbert Trogemann, VG Bild-Kunst Bonn

Grundgesetz
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Video, 2018

Am 3. Oktober 2018 präsentierte Marta Górnicka im Rahmen der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit Grundgesetz vor dem Brandenburger Tor. 50 professionelle und nicht-professionelle Schauspieler*innen aus den unterschiedlichen Spektren der Zivilgesellschaft bilden einen Chor, der den 70 Jahre alten Text befragt. Dieser performative Stresstest versucht die maximale Leistungsfähigkeit und gegenwärtige Belastbarkeit der im Grundgesetz stehenden Wörter in den Spannungskräften der Gesellschaft aufzuzeigen: Wer ist das Subjekt der deutschen Verfassung? In wessen Namen spricht sie? Wer ist »das Volk«? Wer ist »die Mehrheit«?

Foto: © Lutz Knospe

Hymne an die Liebe
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Video, 2017

Ein Stück über Europa, das die Reihen festigt und schreit: Gebt uns unser Land zurück! In ihrem Libretto zu Hymne an die Liebe demonstriert Górnicka die brutale
Sprache der heutigen Politik: Sie verweist auf die im Internet um sich greifende Sprache des Hasses, zitiert Erklärungen von Politiker*innen sowie Aussagen von Fundamentalist*innen. Sie konfrontiert diese Sätze mit Pop-Songs und patriotischen Liedern, um die menschenfeindliche Ideologie des Nationalismus schonungslos offenzulegen. Górnicka komponiert ein monströses »National Songbook«. Der Chor enthüllt Schrecken in einer Gemeinschaft, die durch die Liebe zum Land verbunden ist: einer Heimat, die ausschließlich für Menschen wie uns bestimmt ist. Eine Heimatfamilie, die geschützt und rein gehalten werden muss.

Foto: © Lutz Knospe

Mother Courage won't remain silent. A chorus for war time
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Video, 2014

Das Stück wurde 2014 im Museum für Moderne Kunst in Tel Aviv uraufgeführt. Górnicka lud einen 60-köpfigen Chor aus arabischen und jüdischen Müttern, israelischen Soldaten, Tänzern und arabischen Kindern ein. Für das Projekt brachte Górnicka also Gruppen zusammen, die in radikal gegensätzlichen Gemeinschaften leben. In gemeinsamer Arbeit werden Möglichkeiten geschaffen, extreme Emotionen auszudrücken und direkte Interaktionen zwischen jenen Communities zu initiieren, die durch eine unsichtbare Barriere voneinander getrennt sind. Hierbei geht es nicht um die Reproduktion von Konflikten und ihren Mechanismen, sondern um die Suche nach einer Möglichkeit, eine gemeinsame Arbeit zu schaffen, die vielsprachig ist und doch mit einer gemeinsamen menschlichen Stimme spricht.

Foto: © Lutz Knospe

Marta Górnicka gründete 2010 mit Unterstützung des Warschauer Theaterinstituts den Chor der Frauen. Ihre Inszenierungen Magnificat und Requiemachine gastierten weltweit. Am Maxim Gorki Theater inszenierte Górnicka zuletzt Hymne an die Liebe (2017) sowie Grundgesetz (2018). Jedem das Seine feiert im Rahmen des 4. Berliner Herbstsalons Berlin-Premiere.